Als Pädagogin und Therapeutin bin ich gehalten, verständnisvoll zu sein. Gunther Schmidt hat einmal angemerkt, dass ein guter Therapeut seine Ausbildung bereits im Kindesalter beginnt. In der Tat bin ich bereits früh mit der Idee aufgewachsen, dass man etwas nicht übel nehmen sollte, was nicht „so gemeint“ ist und dass man Verständnis für das soziale Unvermögen anderer haben sollte. Mir wurde vermittelt, dass dies christlich und gut sei.
Ist jemand ignorant, rücksichtslos, gemein, agressiv oder egozentrisch, dann kann er oder sie ja vielleicht nichts dafür, hatte eine schlechte Kindheit, war gerade überarbeitet oder ist krank, da sollte man doch versöhnlich sein und es dem anderen nicht als böse zurechnen…
Und schließlich kann man ja selbst einmal in die Lage kommen, dass man sich suboptimal verhält und dann wäre es doch gut, wenn man auf Verständnis träfe. So weit, so gut…
Forrest Gump sagte in dem gleichnamigen Film: „Dumm ist der, der Dummes tut“. Und in Anlehnung an diesen Satz möchte ich sagen: „Wer sich wie ein Arschloch benimmt, ist ein Arschloch!“. Wie soll ein Mensch lernen, dass sein Verhalten sich negativ auf ihn oder sie auswirkt, wenn es immerzu toleriert wird und ihm oder ihr keine Grenzen gesetzt werden?
In der Pädagogik, also den Erziehungswissenschaften gibt es den Leitsatz „Positives verstärken, negatives begrenzen“. Leichter gesagt als getan, wenn man sich in einer sozialen Bindung zu einem Menschen befindet. Ist es ein Familienmitglied, Freund oder Freundin oder gar ein Beziehungspartner, dann wird das Thema zum Bindungskonflikt.
Auf der einen Seite möchte man die Bindung nicht verlieren, auf der anderen Seite kann man sie eigentlich nicht aufrecht erhalten, wenn das Gegenüber immerwährend toxisches Verhalten zeigt. Ein teuflischer Tanz um Nähe und Distanz beginnt, ein Spiel, welches man im Grunde genommen nicht gewinnen kann. Für Romane und romantische Geschichten ist so eine Beziehungsgestaltung großartig, spannend, unterhaltsam und dynamisch, für das Leben ist sie schlicht toxisch, zerstörerisch und lebensfeindlich!
Da gibt es die kleinen Jungen, die die kleinen Mädchen ärgern, um deren Aufmerksamkeit zu bekommen. Da gibt es die Kumpels, die sich gegenseitig mit raubeinigen Gesten ihre „Zuneigung“ zeigen, indem sie sich gegenseitig übel mitspielen. Da gibt es zahlreiche sozial inkompetente Menschen, die sich auf ihrer „Beziehungslegasthenie“ ausruhen und Verständnis für ihr Unvermögen einfordern.
Es ist schade, dass viele Menschen nicht gelernt haben, wie man Beziehungen aufbaut und erhält. Es ist traurig, dass viele Menschen unter Bindungsstörungen leiden und es ist tragisch, dass alle Menschen Zugehörigkeit brauchen, aber viele nicht wissen, wie sie diese erreichen können. So manch einer erklärt dann auch die „Trauben als zu sauer“ und behauptet, dass er oder sie gar nicht dazu gehören will… Ein großes Thema, eines über das es sich zu philosophieren lohnte.
Verbundenheit und Emphatie sind angeboren, sie sind dem Menschlichen immanent. Man kann sie verlernen, aber auch wieder erlernen. Soziale Kompetenz ist kein Hexenwerk und Bindungstraumata können so geheilt werden, dass man trotz Behinderung gute und tragfähige Beziehungen (er)leben kann!
Alles was es braucht, ist, den Mut eine Entscheidung zu treffen. Viele Menschen verfahren frei nach dem Motto „Ich könnte, wenn ich wollte, aber wollen-können kann ich nicht“.
Dem möchte ich entgegensetzen: „Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern es ist schwer, weil wir es nicht wagen.“ – und ja, manchmal ist springen besser als fallen und die ersten Schritte in ein erfülltes Leben können eine Nachtmeerfahrt sein, ein Schritt ins Dunkel, ein ängstliches, bisweilen zweifelndes, wütendes, verzagtes, ungeduldiges Lauschen in die dunkle Stille.
Man muss langsam gehen, Schritt für Schritt, man muss Vertrauen wagen, Atemzug für Atemzug und ja, man muss sich dafür entscheiden, jeden Augenblick neu. Es braucht Geduld und Selbstliebe, es braucht die Ermutigung und Liebe anderer, klare Grenzen und bisweilen auch eine klare unnachgiebige Langmut. Es braucht ein geduldiges Beobachten gelingender Prozesse, ein andauerndes Fragen nach der besten Lösung.
Aber ein nachlässiges, grenzenloses Verständnis ist kontraproduktiv für die Lernkurve!
Für den oder die, die es lernen wollen ist es, als würden sie in eine sternenlose Nacht hinaustreten, in einem dunklen Wald stehen, schutzlos. Vielleicht haben Sie schon einmal irgendwo im Dunklen gestanden und festgestellt, dass sich die Sinne nach einer Zeit an die Dunkelheit gewöhnt haben. Plötzlich haben Sie Konturen wahrgenommen, ein leises Erkennen setzte ein und irgendwann konnten Sie „sehen“ – so ähnlich ist es, wenn man lernt.
Lassen Sie kein tumpiges Verhalten durchgehen, nicht bei sich selbst und nicht bei anderen. Verzeihen Sie sich und anderen, ja, aber bleiben Sie konsequent und lösungsorientiert, andernfalls wird das Unkraut unseren Garten überwuchern und die Ernte wird mau ausfallen…
Das ist nicht leicht, denn es bedeutet, dass man die schöne Illusion von Freundschaften und Beziehungen bisweilen in der Realität ertränken muss. Man verliert Liebgewonnenes und fällt möglicherweise lange durch einen nebelerfüllten Schacht, schlägt hart auf und braucht eine Weile, um sich zu erholen. Man wird traurig sein und feststellen, dass man versucht hat, in einer Fatamorgana zu leben…
Dennoch ist es der einzige Weg in die Heimat. Was denken Sie? Wagen Sie den Schritt ins ungewisse Glück oder arrangieren Sie sich mit den Arschengeln?
Das eine, das andere, beides, keines von beidem und noch viel viel mehr ist möglich…
your choice, take it, take care…