Ode an das Oxymoron – fokussierte Absichtslosigkeit

Ein Oxymoron vereint Gegensätze. Zwischen zwei Begriffen spannt sich etwas Neues auf. Das Leben eines Organismus findet in einer Art dynamischer Ordnung zwischen Chaos und Starre statt. Moleküle ordnen sich, verbinden sich, bilden Zellverbände. Zellverbände wachsen zu Organismen, zu Systemen, zu Lebewesen. Wenn wir gehen, ist es ein geordnetes Fallen, wenn wir uns bewegen, dann immer mit Hilfe von Muskeln, die zusammenspielen – Antagonisten, die einander ergänzen. Aequilibritas bedeutet Gleichgewicht. Ich denke an eine Waage, an ein Mobile, an Dynamik, die von außen kaum erkennbar ist. Wenn man ruhig stehen oder sitzen will, arbeiten alle unsere Muskeln. Um gleich zu bleiben, müssen wir uns stetig wandeln. Wenn Sie Ihre Wohnung nicht putzen, verdreckt sie. Wenn Sie etwas nicht pflegen, verfällt es.

Die Weisheit liegt zwischen den Zeilen. Gelassenheit liegt zwischen Fokus und Weite.

Was bedeutet das für den Alltag, was für Gesundheit, welche Bedeutung hat es für Beziehungen? Für Beziehungen zu Dingen, zu Menschen, zu sich selbst? Welche Bedeutung hat es für Sie? Ein gut ausgewogenes Gleichgewicht kann recht langweilig erscheinen, aber es ist die Grundlage für Zufriedenheit und eine gute Basis für Abenteuer. Wer nach einem Ausflug zur Kirmes in Sturm und Regen gerät und sich dann vor dem heimischen Kaminfeuer Geschichten erzählen kann, ist vielleicht besser dran, als jemand, der sich wie ein Vagabund durchs Leben schlägt, immer mit der Angst im Nacken den nächsten Tag vielleicht nicht zu überleben. Was ist echtes Erleben? Krieg ist nicht das gleiche wie Räuber und Gendarm spielen.

Dennoch ist ein Spiel nur dann gut, wenn es auch einen gewissen Ernst enthält – eine Herausforderung, egal, ob wir uns diese erschaffen oder ob sie tatsächlich vorhanden ist.

Mir fiel noch ein anderer Begriff ein – Spontanietät. Man kann nicht geplant spontan sein. Dennoch ist Spontanietät etwas, was neben dem Raum der Absichtslosigkeit auch noch etwas anderes benötigt: Eine Absicht, eine Intention, eine Richtung.

Stellen Sie sich einen Jäger vor, der entspannt durch eine weite Landschaft streift, absichtslos. Und dennoch, taucht ein Ziel auf, dann kann er seinen Bogen spannen, ein Ziel anvisieren und, etwas geübt, mit einem Schuss ins Schwarze treffen. Das ist fokussierte Absichtslosigkeit. Ohne zu wissen, was Nahrung, was nahrhaft, was lohnend ist, bleibt es allenfalls ein Zufallstreffer. Der Fokus bildet sich aus einer klaren inneren Haltung und bietet eine Art Schablone. Die Frage ist also nicht, wogegen, sondern wofür wir kämpfen. Nicht, was wir nicht wollen, sondern was wir wollen. Und dann lösen wir uns von genau diesem Wollen, um den Blick wieder weit und weich zu stellen, damit wir die Chance auch erkennen, wenn sie am Horizont auftaucht. Ergibt das Sinn? Aber sicher! Erreicht es Ihren Sinn? Ich denke, es lohnt sich darüber nachzudenken und vor allem darüber nachzusinnen.

Eine Königsdisziplin, ein offenes Geheimnis – ein Oxymoron eben. Eines von vielen… „Das Mysterium findet im Hauptbahnhof statt“, soll Joseph Beuys gesagt haben… Das Wesentliche, das Kraftvolle ist für die Augen unsichtbar, man erfährt es zwischen den Worten, mit dem Herzen, man erfährt es, erlebt es und dann ergeben die Worte Sinn, zuvor aber bleibt es wie eine geschlossene Schachtel mit einem Kalenderspruch.

Ob es eine Büchse der Pandora ist oder der heilige Gral, beides würde ich sagen – das Leben ist eben ein Oxymoron ;-). Was meinen Sie?

your choice, take it, take care….

Ein lächerliches Stück Stoff… Über Dinge und den Verlust der Heimat durch Unachtsamkeit

Manchmal sind es ganz kleine Dinge und Ereignisse, die bedeutsame Geschichten erzählen können.

Ich war auf einer längeren Reise. Als Anker und Erinnerung für alle Fälle habe ich immer ein kleines Stück Stoff dabei. Es ist ein Stück einer alten Wolldecke, die mich bereits mein ganzes Leben lang begleitet. Wenn ich traurig bin oder mich einsam fühle, wenn ich irgendwie Heimweh habe, dann tröstet mich das Gefühl der Wolle zwischen meinen Fingern. Es wirkt wie ein Geruch, direkt auf mein Nervensystem, es ist ein Anker der umittelbar Geborgenheit und Trost vermittelt.

Eines Morgens war es weg. Ich habe alles durchsucht, etwa eine halbe Stunde jeden Winkel durchforstet, nichts. In mir stieg eine tiefe Traurigkeit auf, eine kleine Panik, ja fast war es Verzweiflung. Nun gibt es diese Wolldecke noch und ich habe sofort damit begonnen zu überlegen, wie ich an Ersatz herankommen könnte. Wen würde ich darum bitten können, mir ein Stückchen zu schicken? Wer würde es tun, ohne dass ich mich umständlich erklären müsste.

Man sagt, dass sich Gerüche unmittelbar auf unser Befinden auswirken, wir würden sofort Assoziationen haben, gewollt oder ungewollt. Der Geruch von Desinfektionsmittel in einer Klinik, der Geruch von Tannennadeln, Orangenschalen und eben erloschenen Kerzen, ein bestimmtes Parfüm. Es gibt viele solcher Anker, olfaktorische, visuelle, auditive und eben auch haptische.

Das Gefühl dieser bestimmten Wolldecke war mein Anker an Heimat. Nachdem ich vor zwei Jahren meine äußere Heimat fast komplett verloren habe, blieb mir nur diese kleine Erinnerung als eine Art Samen, etwas worauf ich im Letzten zurückgreifen konnte und was mir auch ein wenig Mut gab weiter zu machen. Der Verlust dieses Stöffchens war also quasi der Verlust meiner Heimat.

Mir hat einmal jemand vorgeworfen, dass ich mein Herz an Dinge hängen würde, einen Ehering, eine Figur, ein Bild… Erinnerungsstücke und Symbole. In diesem Vorwurf liegt mehr Gewalt als es zunächst den Anschein haben mag. Es geht nicht um die Dinge, es geht darum, was sie in uns auslösen. Es geht nicht darum „sich ein Bildnis zu machen“ oder den Dingen übergebührliche Macht zu geben, es geht darum, dass die sinnliche Wahrnehmung dieser Dinge in irgendeiner Form Assoziationsketten ermöglichen, die dann wiederum zu bestimmten Gefühlen führen. Eine Art Abkürzung, ein Shortcut zum Organismus.

Mit dem Aberkennen dieser Wirkung und dem Verweigern der tiefen Bedürfnisse eines Menschen nach Schutz, nach Sicherheit und Halt, aber auch nach Freiheit oder Selbstbestimmung üben wir eine tiefgründige Gewalt aus. Wenn wir nicht verstehen, Bedeutsames nicht als solches zugestehen, dann nehmen wir einander die Würde. Es ist sicherlich grausamer, einem Kind das geliebte Stofftier zu verbrennen als ihm im Affekt eine Ohrfeige zu verpassen. Ich möchte betonen, dass es hier nicht darum geht, die Ohrfeige zu banalisieren, nein, es unterstreicht die Massivität emotionaler Gewalt.

Unsere Seelen bleiben immer kindlich in ihrem Bedürfnis nach Bindung und Autonomie. Es ist nicht kindisch, es ist menschlich. Wem dieses Menschliche genommen wurde, der agiert aus dem entstandenen Schmerz heraus manchmal missgünstig. Andere sollen nicht bekommen, was ihnen verwehrt wurde. Diese Missgunst zu akzeptieren, bei sich oder bei anderen, gleicht einer Kriegserklärung an das Leben selbst. Dennoch sind wir es gewohnt. Wir verachten die bedürftige Schwäche, wir veralbern die tiefsten Bedürfnisse und plappern Beschämungen nach. Niemand will zu empfindlich, sein um nicht ausgeschlossen zu werden. Niemand will sich empfindsam oder bedürftig zeigen, um nicht verletzt zu werden. Wo aber führt uns diese Unachtsamkeit hin?

Mein Stöffchen fand ich schließlich wieder. Es hatte sich in einem Pulloverärmel versteckt und mir so diese Geschichte geschenkt. Ich möchte immer achtsam mit meiner und anderer Menschen Heimat umgehen, ich möchte stark darin sein verletzlich zu sein, auch, wenn es mich manchmal anstrengt. Ich stehe dafür. Wofür möchten Sie stehen?

Your choice, take it, take care!