Wir haben aus historischen Gründen ein gesellschaftlichen Konsens, den Mythos von der romantischen Liebe. Natürlich greift die Unterhaltungsindustrie diesen Mythos gern auf, dennoch, der Begriff Roman stammt aus der Romantik. Diese Geschichten sind spannend, aber wenn wir versuchen aus unserem Leben einen Roman zu machen werden wir enttäuscht sein.
Google meint zur Epoche der Romantik: „Der Begriff der Romantik ist älter als die Epoche. Er entstand im 17. Jahrhundert zur Beschreibung der Eigenart romanhaften Erzählens im Roman und der Romanze. Gemeint waren damit abenteuerliche, phantastische, unwirkliche und erfundene Geschichten.„
Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass es Geschichten von unerfüllten Sehnsüchten und Schmerz sind, von Tiefe, Nacht und Dramen, der Sucht nach Neuronenfeuer, der Vergänglichkeit. Bei genauem Hinsehen Prima für die Leinwand und die Bühne, grausam und kräftezehrend fürs Leben. Kein gutes Modell für nährende Beziehungen, in keinem Fall!
Und das mit den „Schmetterlingen im Bauch ist auch fürn Arsch“ – möchte ich in Anlehnung an einen Buchtitel zitieren. Das, was wir dann nämlich empfinden ist das Signal eines hoch alarmierten Nervensystems. Dann sagt uns jemand „du bist verliebt“ und wir lernen, wie diese Körperempfindung zu werten ist. Hinzu kommt noch die Idee, dass wir in diesem Fall unseren Gefühlen eine unbedingte Wahrheitsgarantie zuweisen. Man solle auf sein Bauchgefühl hören… nun, es gibt Kulturen in denen wird diese „Verliebtheitsgefühl“ als bedenklich und krankhaft gewertet… tatsächlich! Bedenkenswert finde ich, vor allem, weil diese Schmetterlinge nicht immer bunt, sondern häufig auch schwarz daher kommen, metaphorisch gesehen natürlich ;-).
Auf Dauer ist die romantische Bindung auf jeden Fall nicht lebbar, sie gleicht dem Heroinkonsum und birgt ein erhebliches Suchtpotential.
Zum einen kann niemand immer nett adrett und heldenhaft sein, zum anderen wird man niemals einen Menschen finden, mit dem alles immer super und im Einklang läuft. Soweit so gut, eine Binsenweisheit. Wir suchen, wir überlegen, wir projizieren unsere Wünsche auf oder in jemanden, dennoch. Wenn es dann nicht klappt ziehen wir weiter, dennoch. Oder wir arbeiten uns aneinander ab, versuchen irgendwie geliebt zu werden, leiden, weil wir nicht lieben und nicht lügen wollen oder weil wir uns Liebe wünschen, sie aber nicht bekommen, mühen uns ab, uns selbst oder den anderen zu verändern etc. Im Grunde geht es um das Bedürfnis nach sicherer Bindung, nicht um unbedingte und absolute Wunscherfüllung – aber das haben wir wohl irgendwie vergessen…
Ich fürchte es gibt da eine ernüchternde Wahrheit: Je höher der Umsatz von Geben und Nehmen desto stärker die Verbindung. Je stärker die Verbindung desto größer die Chance auf Liebe. Liebe ist vertraute und sichere Verbundenheit.
Als Menschen haben wir zwei existentielle Grundbedürnisse, nach Bindung und nach Autonomie oder auch nach Zugehörigkeit und Freiheit, nach Sicherheit und Selbstwirksamkeitserleben, nach Geborgenheit und Spaß etc. Es spiegeln sich immer zwei Gegensätze, die in ein ausgeglichenes Verhältnis, ein Gleichgewicht gebracht werden müssen, um ein ausgewogenes Leben zu gestalten. Dies ist nicht zu verwechseln mit Starre oder Langeweile, das wäre dann der Fall, wenn kein Umsatz stattfindet.
Wir brauchen also eine ausreichend hohe Amplitude mit einer dynamischen, aber doch noch gemütlichen Frequenz in unserem Leben. Spanned genug, um uns wach zu halten, seicht genug, um uns nicht aus der Bahn zu werfen. So ganz aussuchen können wir uns das häufig nicht, oft ist die Schwingung in unserem Geburtsumfeld schon nicht optimal. Aber, so, wie eine Kiefer, die an einer Steilküste im scharfen Wind heran wächst, kann auch der Mensch sich erstaunlich gut in seine Familie einpassen und überleben.
Nun treffen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Prägungen, Gewohnheiten, Bedürfnissen, Erfahrungen und Ideen über die Welt aufeinander und scannen einander ab: Gibt es Gemeinsamkeiten? Ist der oder die andere Freund oder Feind? Bekomme ich etwas oder laufe ich Gefahr, dass mir etwas weggenommen wird? … Und alle suchen nach Bindung unter dem Erhalt der Autonomie.
Was haben Sie gelernt? Haben Sie gelernt, dass man etwas geben muss, um etwas zu bekommen? Haben Sie gelernt, dass Sie um Ihrer selbst willen geliebt wurden und immer genug da ist oder haben Sie gelernt, dass es nie genug gibt und man streng darüber wachen muss, um alles beisammen zu halten? Oder haben Sie gar gelernt, dass Sie sowieso nie das bekommen, was Sie sich wünschen und nehmen es deswegen meist nicht einmal mehr ihre Bedürfisse oder Grenzen wahr?
Die Regeln sind ganz einfach: Einer gibt, der andere nimmt und umgekehrt. Ob dabei Steine oder weiche Pälzchen ausgetauscht werden ist für die Bindung erstmal nicht so erheblich, für das Wohlbefinden aber schon. Auch Schläge sind Berührungen, nur beschädigen sie Leib und Seele. Eine Beziehung kann nährend oder zehrend sein, je nachdem, ob sie sich im positiven oder negativen Umsatz-Bereich abspielt. Manch einer macht ein Pokerspiel daraus, eine unendlich ausdenkbare Metapher…
Positive Umsätze nähren, lassen Menschen wachsen, gesunden und geben ihnen die Möglichkeit zu friedlicher und lebendiger Autonomie. Ausgehend von einer sicheren Basis als Archimedischen Punkt kann man Welten bewegen.
Negative Umsätze blockieren und machen uns zu Suchtmittel-Konsumenten die versuchen das Glücks-Defizit auszugleichen, welches unweigerlich durch solch zehrende Beziehungen entsteht.
In zehrenden Beziehungen besteht das Glück in wenigen erleichternden Momenten, in nährenden Beziehungen bildet es eine Basis von Zuversicht und Zufriedenheit. Ein funkelnder Diamant fällt im Schlamm natürlich mehr auf, so werden die kleinen Glücksmomente im andauernden Beziehungsdrama zum Feuerwerk, während eine starke Basis die Gesamtstimmungslage hebt.
Möchten Sie lieber überwiegend in einem lichtdurchfluteten Raum leben oder zumeist in einer ewigen Nacht auf ein andauerndes Feuerwerk hoffen?
your choice, take it, take care