Der Begriff Toleranz kommt von tolerare – ertragen oder erdulden. Der Begriff attraktiv bedeutet anziehend und, so möchte ich meinen, auch verbindend. Etwas, was ich nicht als anziehend, vielleicht sogar als abstoßend empfinde, wird dann zum Problem, wenn ich es nicht tolerieren kann. Wenn etwas Toleranz benötigt, ist es eben nicht verbindend, sondern tendenziell trennend. Trennung birgt immer die Gefahr des Abschgeschnittenseins, des Verlustes von Zugehörigkeit und kann sich mehr oder weniger bedrohlich anfühlen.
Je mehr Gemeinsamkeiten man mit jemandem oder etwas findet, desto verbundener und damit auch sicherer empfinden wir uns. Die gemeinsame Schwäche für eine alltägliche Nachlässigkeit kann verbindend sein, ebenso gemeinsame Interessen, Vorlieben und Abneigungen. So loten wir unseren Platz im Weltgefüge ständig neu aus.
Wir lernen jemanden oder etwas kennen und prüfen, inwieweit es zu Resonanzen oder Synergien kommt. Wir stellen fest, dass wir nicht allein sind oder eben, dass wir nicht dazugehören. Woran wir dies messen, liegt an uns.
Es gibt Menschen, die achten auf Gemeinsamkeiten und versuchen diese zu verstärken und es gibt Menschen die tendenziell eher nach dem suchen, was sie von anderen trennt.
Wer nach „Fehlern“ sucht, wird immer mindestens ein Haar in der Suppe finden. Ob wir es dann einfach beiseite legen oder die Suppe für uns ungenießbar wird, darum geht es bei dem Begriff „Toleranz“.
Epiktet wird die Aussage zugeschrieben, dass „nicht die Dinge die Menschen beunruhigen, sondern unsere Sicht der Dinge.“ Es obliegt also uns, wie die Welt ist?
Wir können unseren Fokus bewusst setzen, uns also dafür entscheiden, auf welchen Teil wir achten wollen, ob wir auf Verbindendes oder Trennendes achten möchten. Diese Entscheidung benötigt allerdings das Bewusstsein darüber, dass dies tatsächlich (nur) eine Entscheidung ist und vor allem, dass „jedes Ding zwei Seiten hat“, es also immer Licht und Schatten gibt, es kein allein Verbindendes oder allein Trennendes gibt.
Wie unerträglich ist es, wenn jemand anderes eine andere Meinung, Vorliebe oder Vorgehensweise hat. Wie sehr fühlen wir uns getrennt, wenn jemand Eigenschaften oder Verhalten zeigt, was uns emotional triggert, also ärgert, verletzt oder ekelt?
Je mehr wir in uns selbst ruhen, je mehr wir uns selbst und anderen sicher sind, desto weniger „kratzt“ uns das Anderssein. Ein Trigger ist wie ein Schalter, der in uns eine Art Warnlampe anschaltet. Diese Schaltverbindung ist meist unbewusst gelegt worden und reicht oft bis in die Anfänge unserer Existenz zurück. Je bewusster mir diese Schalter sind und je besser ich lerne, solche Schaltverbindungen zu regulieren, desto toleranter kann ich sein. Ist es also vielleicht doch keine freie Entscheidung, welchen Fokus ich auf die Dinge setze? Ja und nein. Jedem Menschen werden meist unbewusste Bewertungsmaßstäbe quasi in die Wiege gelegt. Wie wir damit umgehen wollen, das können wir entscheiden.
Humor ist dabei wie ein Blitzableiter für einen Trigger. Wir lachen, um die „Alarmenergie“ abzuleiten. Dann lassen wir los. Wir lassen das latente Gefühl von Bedrohung gehen, wir lassen es in die Erde abfließen, ja, man könnte sagen, wir erden uns oder kommen auf den Boden zurück. Ich empfinde es auch manchmal so, als ob man einem Ball, der auf einen zufliegt selbstverständlich aus dem Weg geht. Das gilt natürlich um so mehr für Pfeile, die einen vermeintlich abschießen wollen oder auch für herumstehende Schuhe, die einen dazu einladen sich schmerzende Blasen darin zu erlaufen.
Unter „schwerem Beschuss“ ist es nachvollziehbar schwieriger auszuweichen oder sich zu schützen, als wenn vereinzelt mal ein Anwurf kommt oder ein Hundehaufen herumliegt.
Für ersteres benötigt man möglicherweise eine Art von Schutzkleidung oder Schild.
Alles ist auch Übung. Man benötigt das Bewusstsein, den Willen, das Vertrauen und einiges an Mut, um Veränderungen im Hinblick auf seinen Umgang mit den Triggern zu erlangen.
Ganz sicher hilft es, zusätzlich den Blick auf das Verbindende zu trainieren, denn es gibt uns Kraft, Sicherheit und Trost. Es geht also nicht nur darum, die Schaltkreise des Alarmsystems zu erneuern, sondern auch darum, unser Belohnungzentrum zu bedienen, um quasi die inneren Sicherheitsspeicher zu füllen.
Das Belohnungszentrum springt nämlich immer dann an, wenn etwas positives geschieht, wir eine Gemeinsamkeit feststellen, etwas, was uns irgendwie sagt „du gehörst dazu, du bist gut so, wie du bist, du wirst wahrgenommen etc.“. Das funktioniert leider erschreckend zuverlässig bei Suchtmitteln bzw. macht Dinge zu Suchtmitteln. Deswegen lieben wir Likes und Schokolade…
Humor kappt die Bedrohung und belohnt uns zugleich. Des Weiteren kann man dadurch lernen, die Dinge nun nicht mehr als bedrohlich, sondern als neutral, vielleicht auch als kleine charakterisierende Eigenheiten wahrzunehmen, sie quasi als Erkennungsmerkmal sogar zu lieben.
Dann wird aus dem Ärgerlichen etwas Liebenswertes, was uns an die Verbindung zu etwas oder jemanden erinnert. Und genau dies ist es dann, was uns einzigartig macht. Zu Udo Lindenberg gehören Hut, Sonnenbrille und die charakteristische Aussprache, zu Angela Merkel die hängenden Mundwinkel…
Die Welt ist voll von unperfekten und dennoch vollkommenen „Dingen“, ob wir sie fürchten oder lieben, sie sind, wie sie sind…
Your choice, take it, take care…