Die Entzauberung des Froschkönigs – wie meine Illusion über Märchen unprätentiös verendete…

Märchen, das waren in meiner Erinnerung schöne, romantische Geschichten, erzählt in schöner Sprache, immer mit einem „guten“ Ende. Am Ende gewannen die Guten und das Gute oder sie hatten irgendeine tiefsinnige Aussage. Wir kennen sie wohl alle, die fantastischen Hollywoodversionen von Aschenputtel oder Schneewittchen.

Aus meiner Kindheit habe ich ein Märchenbuch aufbewahrt, Grimms Märchen. In meiner Erinnerung waren Märchen toll. Nun kam ich neulich auf die Idee dieses Buch wieder zur Hand zu nehmen. Ich las das Märchen vom Sterntaler und war verdutzt. Es war nicht nur sehr kurz – knapp eine viertel DIN A4 Seite – es war auch ziemlich platt beschrieben.

Daraufhin suchte ich im Internet, ob ich vielleicht ein Originalmärchen von den Gebrüdern Grimm finden könnte. Ich hoffte und erwartete etwas „mehr Lametta“ irgendwie. Ich gab „Der Froschkönig“ ein und war verwirrt. Nicht nur, dass das Märchen einen Teil enthielt, den ich bisher nicht kannte, es fehlte auch der „berühmte Kuss“, mit dem der Frosch in einen Prinzen verwandelt werden würde. Zudem war die Sprache nicht besonders schön oder melodisch, im Gegenteil, die Geschichte erschien mir platt, langweilig und voller Brüche. Außerdem kam die Prinzessin echt schlecht weg und spielte allenfalls eine Nebenrolle.

Der ganze Text war voller fragwürdiger Klischees und ich konnte mir kaum vorstellen, dass er ein modernes Lektorat überleben würde. Wie schade, dachte ich, man müsste ihn neu erfinden, den Froschkönig – neu (be)schreiben, vielleicht so, wie ich ihn vermeintlich erinnerte – voller Metaphern und schöner lebendiger Bilder…

Zur Vervollständigung und gänzlichen Entzauberung las ich im Anschluss noch den Artikel von Wikipedia zum Froschkönig. Wildeste Interpretationen aus psychoanalytischer Sicht und das ein oder andere Interessante zur Herkunft der Geschichte, zu einzelnen Formulierungen und Sprachbildern. Fazit: Irgendwie hatte ich das Ganze anders, besser, zauberhafter in Erinnerung.

Heute würde ich sagen, dass es ziemlicher Murks ist. Aber vielleicht lohnte es sich dennoch das Motiv aufzugreifen, es zu hinterfragen und ihm einen neuen Ausdruck zu verpassen. Die Gebrüder Grimm sammelten Geschichten aus dem Volk. Sie nannten sie Kinder- und Hausmärchen und veröffentlichten sie während der romantischen Zeitepoche, um diese Volksgeschichten zu bewahren.

Später wurden die Märchen, ich vermute durch die Psychoanalyse, metaphorisch überladen, sinnbildlich gedeutet und tiefgründig verklärt. Schlimmer noch, es wurden „Volksweisheiten“ daraus, denen man zum Teil heilende Kräfte zuschrieb. Bruno Bettelheim schrieb „Kinder brauchen Märchen“. Er behauptete, dass es in den Märchen eine Entsprechung zwischen kindlichem Erleben und Denken gäbe und dass Märcheninhalte mit kindlichen Entwicklungsaufgaben und Krisen in Beziehung stünden.

Das klingt total gut und Psychoanlayse klingt auch nach Psychologie und Wissenschaft, ist es aber nicht! Ich möchte ketzerisch sagen, dass die Psychoanalyse ebenso märchenhaft anmutet wie die gesammelten Werke der Gebrüder Grimm. Sie spiegeln die Narrative ihrer Zeit. Sie dienen als prosaischer Kulturspeicher, aber folgten wir ihnen als Handlungsrichtlinien, so kämen wir vermutlich in Teufels Küche. Nicht alles, was historisch ist, ist auch zieldienlich und so ertränkte ich meine Illusion vom erbaulichen Märchen in den klaren Gewässern der Realität.

Und der Froschkönig? Ich will mir den grünen Gesellen noch einmal vorknöpfen und ihn genüsslich kommentierend zerpflücken. Einfach, weil ich ein bisschen ärgerlich geworden bin als ich feststellte, dass der Schatz in meinem Bücherregal sich als billiger Tand entpuppte… Aber so ist es, als Kinder sammelten wir bunte Murmeln und Glassplitter und maßen ihnen einen höheren Wert zu…

Ich glaube, dass wir Geschichten „brauchen“, wir leben in, durch und aus ihnen. Das Sachbuch „Erzählende Affen“ gibt einen wunderbaren Einblick in die Welt der Narrative und deren Bedeutung. Eine These, die ich für gut nachvollziehbar und keinesfalls für ein Märchen halte. Ob wir allerdings den alten Volks – und Hausmärchen eine derartige Bedeutsamkeit zugestehen sollten, das möchte ich noch einmal deutlich in Frage stellen. Was meinen Sie?

your choice, take it, take care…

UND NUN NOCH EINMAL ZUM FROSCHKÖNIG:

Der Froschkönig

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön. Aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich wunderte, so oft sie ihr ins Gesicht schien.

Es fängt so schön an, aber dann wird die personalisierte Sonne aufgerufen, die „sich über die Schönheit“ wunderte… Es mag sein, dass der Begriff des wunderns im laufe der Zeit einer Bedeutungsverschiebung unterliegt… ich stelle mir also eine erstaunte Sonne vor, die blickt indem sie auf etwas scheint… sehr eigenartige Vorstellung, aber nun gut, sei es drum. Es benötigt also der Sonne selbst (Ursprünglich wurden die Planeten und auch die Sonne Göttern gleichgesetzt, vielleicht kommt es daher?) um die Schönheit der jüngsten Königstochter zu belegen. Sie wird herausgestellt, Schönheit ist also ein Wert… was auch immer dann „Schönheit“ ausmacht. Sie entsprach also einem Schönheitsideal – was ihr am Ende dann aber nicht wirklich zum Guten gereichte, aber lesen wir weiter:

In der Nähe des Königsschlosses lag ein großer dunkler Wald, und in dem Wald unter einer alten Linde war ein Brunnen. Wenn nun der Tag recht heiß war, ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens. Und wenn es Langeweile hatte, so nahm es eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder: Das war sein liebstes Spielzeug.

Da war also ein großer dunkler Wald, eine Linde und ein kühler Brunnen… Man denkt also erstmal, dass es etwas unheimlich dort sein könnte… aber dann war da dieser kühle Brunnen, ok, also der Brunnen war ein Argument um in den dunklen Wald zu gehen um sich Abkühlung zu holen… an einem Brunnen?! Im Wald?! Würde man dort nicht eher eine Quelle und einen Tümpel vermuten? Warum sollte jemand irgendwo in einem dunklen Wald einen Brunnen bauen? Aber es musste ein Brunnen her… und anscheinend gabs beim Schloss keinen… naja, da würde es schwierig werden mit dem Frosch ;-)… seis drum, die Sonne ist eine Person und bewundert ein Mädchen und im Wald steht ein Brunnen…
Und dann hat das Mädel Langeweile dort am Brunnen und spielt mit einer goldenen Kugel – sie chillt da so rum um sich abzukühlen und hat ihr Lieblingsspielzeug dabei, aber nicht, um damit zu spielen… nur, wenn sie Langeweile hat… hä? War das nun ein Spielzeug oder war es einfach eine Art goldener Murmel die sie wie einen Schatz bei sich trug… das fände ich schlüssiger…

Ja, ich weiß, in Märchen geschehen zauberhafte Dinge – aber muss man derartig radebrechend fabulieren? Musste man offensichtlich, also weiter:

Einmal fiel die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen, sondern vorbei auf die Erde und rollte geradezu ins Wasser hinein. Die Königstochter blickte ihr erschrocken nach, aber der Brunnen war tief, so tief, dass man keinen Grund sah. Da fing sie an zu weinen und weinte immer lauter. Da rief ihr jemand zu: „Was ist mit dir, Königstochter?” Sie sah sich um, woher die Stimme käme. Da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken, hässlichen Kopf aus dem Wasser streckte. Sie sagte: „Ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinab gefallen ist.” – „Sei still und weine nicht”, antwortete der Frosch, „ich kann dir helfen, aber was gibst du mir, wenn ich deine Kugel wieder heraufhole?” – „Was du haben willst, lieber Frosch”, sagte sie, „meine Kleider, meine Perlen, Edelsteine und auch die goldene Krone, die ich trage.” Der Frosch antwortete: „Deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine und deine goldene Krone, die mag ich nicht. Aber wenn du mir versprichst, dass du mich liebhaben willst, und ich dein Freund und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken und in deinem Bettlein schlafen darf, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen.” – „Ach ja”, sagte sie, „ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst.” Sie dachte aber: „Was der dumme Frosch schwätzt! Der sitzt im Wasser und quakt und kann keines Menschen Freund sein.“

So, nun nimmt das ganze Fahrt auf, die Murmel rollt in den Brunnen… und zwar von der Erde aus… haben Brunnen nicht so Mauern runterrum? Ich bin verwirrt… Aber irgendwie muss die Kugel ja in den Brunnen fallen… und dann taucht der Frosch auf – als vermeindlicher Retter – wie ein guter Kaufmann sieht er seine Chance und fängt sofort an zu verhandeln. Er folgert: Große Not, großer Gewinn und lässt sich gleich mal das volle Programm versprechen. Sie nimmt ihn nicht ganz ernst ob seiner überzogenen Forderung, nachvollziehbar, aber fatal. Wenn der Typ der Lady nen Drink ausgibt muss sie sich auch pimpern lassen… war das nicht so? 😉

Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab, und nach einer Weile kam er wieder herauf gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter freute sich sehr, als sie ihr schönes Spielzeug wieder erblickte, hob es auf und lief damit fort. „Warte, warte”, rief der Frosch, „nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du!” Aber was half es ihm, dass er ihr sein Quak, Quak so laut nachschrie, wie er konnte! Sie hörte nicht darauf, eilte nach Hause und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinab steigen musste.

Tja, da hat sie sich einfach davon gemacht – er hat sie „selbstlos“ gerettet und wurde bitter enttäuscht… so macht er sich alsgleich trotzig auf um es beim Papa der Kleinen zu versuchen…

Am nächsten Tag, als sich die Königstochter mit dem König und allen anderen Hofleuten zur Tafel gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an die Tür und rief: „Königstochter, jüngste, mach mir auf!” Sie lief hin und machte die Tür auf. Es saß der Frosch davor. Da warf sie die Tür hastig zu und setzte sich wieder an den Tisch. Der König sah, dass ihr das Herz gewaltig klopfte, und sprach: „Mein Kind, warum fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?“ „Ach nein“, antwortete sie, „es ist kein Riese, sondern da draußen ist ein garstiger Frosch”, antwortete sie. „Was will der Frosch von dir?“ „Ach, lieber Vater, er hat mir meine goldene Kugel aus dem Brunnen wieder heraufgeholt, nachdem sie mir beim Spielen hineingefallen war. Ich versprach ihm dafür, er sollte mein Freund werden; ich dachte aber nimmermehr, dass er aus seinem Wasser herauskönnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein.” Und schon klopfte es zum zweiten Mal und der Frosch rief:

„Königstochter, jüngste,
mach mir auf,
weißt du nicht, was gestern du zu mir gesagt
bei dem kühlen Brunnenwasser?
Königstochter, jüngste,
mach mir auf!”

Da sagte der König: „Was du versprochen hast, das musst du auch halten; geh nur und mach ihm auf.” Sie gehorchte und der Frosch hüpfte herein, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief: „Heb mich herauf zu dir.” Sie wollte nicht, aber der König befahl es ihr. Als der Frosch erst auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er: „Nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen.” Das musste sie auch tun. Endlich sprach er: „Ich habe mich satt gegessen und bin müde; nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen.” Die Königstochter fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, der nun in ihrem schönen, reinen Bettlein schlafen sollte. Der König aber wurde zornig und sprach: „Wer dir geholfen hat, als du in der Not warst, den sollst du danach nicht verachten.” Da packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bett lag, kam er gekrochen und sprach: „Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: Heb mich herauf, oder ich sag‘s deinem Vater.” Da wurde sie erst bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn mit aller Kraft gegen die Wand: „Nun wirst du Ruhe geben, du garstiger Frosch.”

So und nun kommt die Krönung: Der Vater verrät seine Tochter und zwingt sie das erpresste Versprechen zu halten… ja, den Spruch, „was man versprochen hat muss man auch halten kenne ich“… weswegen ich mich schon als Kind weigerte irgendetwas zu versprechen, weil ich doch hier und da einen Haken wähnte … wie war das mit dem Drink und dem pimpern… oder den Bonbons von fremden Onkels… Hinterhältiger Mistkerl, der Frosch und ein sadistisches Arschloch dieser Vater… seine naive Tochter derart auflaufen zu lassen. Ja, sie war ein bisschen arrogant, kommt jedenfalls so rüber… Männer finden es immer arrogant, wenn ein hüpsches Mädel sie nicht ranlässt obwohl sie ihr doch einen Gefallen getan haben… nicht wahr?

Als er aber herabfiel, war er kein Frosch mehr, sondern ein Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Er wurde ihr lieber Freund und Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie allein. Dann schliefen sie ein, und am andern Morgen wollten sie in sein Reich fahren, wo sie heiraten sollten. Als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren, mit acht prachtvollen weißen Pferden bespannt und hinten stand der Diener des jungen Königs: Das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr in einen Frosch verwandelt worden war, dass er drei eiserne Bande um sein Herz hatte legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen. Der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war voller Freude über die Erlösung.

So, super, es wird also noch bunter… Sie wirft den Frosch an die Wand – aber dann knickt sie doch ein, weil er ein Kerl mit freundlichen Augen ist? So nach dem Motto, die Schöne und das Biest, vergessen seine verschlagenen Verhandlungstechniken und der Komplott mit dem Vater – ok, in einer anderen Fassung befand der Vater, dass sie ihn heiraten müsse – in dieser Fassung grenzt sie sich wenigstens ab und er scheint sich zu besinnen und menschlich zu werden, seis drum. Diese Version gefällt mir besser als die in der der Vater sie auch noch zur Hochzeit zwingt.

Und als sie ein Stück gefahren waren, hörte der Königssohn, dass es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief:

„Heinrich, der Wagen bricht!”
„Nein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in großen Schmerzen,
als Ihr in dem Brunnen saßt,
als Ihr ein Frosch wart.”

Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche, und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.

Diese Herzreifenmetapher hat mich überrascht – sie ist ganz schön, aber irgendwie überflüssig… „Kill your darlings“ würde Steven King sagen… oder man müsste sie anders und besser einflechten – der Heinrich taucht am Ende unvermittelt auf – dafür spielt die Sonne absolut keine Rolle mehr im späteren Verlauf. Auch die Linde und der dunkle Wald haben keine für mich erkennbare Bedeutung – wobei ich es durchaus für möglich halte, dass ich einfach die romantische Bildsprache nicht ausreichend kenne um sie zu deuten… vermutlich muss es deswegen auch ein Brunnen sein. Ein Brunnen, eine Linde und ein tiefer dunkler Wald… Freud steppt im Kettenhemd…

– Ende der Kritik –

vielleicht schreibe ich es eines Tages neu – denn ich mag Frösche und den Froschkönig und finde er hat eine Legende verdient, auch, wenn sie am Ende nur ein Märchen ist.