Heute Morgen habe ich eine Dokumentation über Preußen und Humboldt gesehen, im Anschluss imaginierte ich ein Gespräch mit einem bekannten zeitgenössigen Philosophen… Ich fragte mich, wie die betreffende Person wohl auf die oben genannte Frage antworten würde. „Wie gehen Sie mit verbalen Angriffen um?“ und weiter: „Um den Denkraum dieser Frage etwas zu fokussieren, möchte ich Ihnen zwei Möglichkeiten dazu anbieten: Mit Interesse oder mit Konfrontation?“
Bei der Auseinandersetzung mit dem Dualismus „Bildung versus Qualifizierung“ ist mir aufgefallen, dass Bildung (im Humboldtschen Sinne) einen Gegensatz zu dem von mir als preußisch-verwurzelt wahrgenommenen Begriff der Qualifizierung darstellt. Bei der Qualifizierung geht es meines Erachtens darum, sich wirtschaftlich und auch militärisch-hierachisch auf das Ziel eines, wie auch immer gearteten Sieges auszurichten. Bildung hingegen hat eine integrative, erweiternde und deutlich friedvollere Intention. In dieser Haltung wird betrachtet, verglichen und auf Synergien sowie bestenfalls auf Emergenzen intendiert.
Solch eine Haltung spiegelt sich auch im Umgang mit Widersächlichem, mit fremden und zunächst in ihrer Erscheinung unverständlich erscheinenden Anderswelten. Die eingangs gestellte Frage, vor diesem Hintergrund beleuchtet, enthält also eine tiefe Wurzel.
Gehen wir mit Interesse auf eine Widrigkeit ein, hinterfragen, vergleichen und verbinden uns quasi mit dieser, dann spannt sich zwischen dem Eigenen und dem Gegenüberliegenden ein mehr oder weniger weites Feld von Möglichkeiten auf, aus dem sich neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten kristallisieren können. Reagieren wir dagegen mit Konfrontation, also mit Abwehr, sei es nun in Form von Verteidigung oder Angriff, dann bleibt uns dieser Gestaltungsfreiraum verschlossen.
Faktisch möchte ich also dazu einladen, sich gelassen auf das Axiom der allgemeingültigen Menschenwürde zu berufen und sich allem Umgebenden, allem Neuen, allem Fremden mit Neugier und Interesse zuzuwenden. Ich erkenne darin eine Möglichkeit zu einem lebendigen, herzlichen und schöpferischen Sein. Andernfalls würden wir uns gegenseitig bis zu Erschöpfung und Vernichtung niederkämpfen.
Dieser Appell stößt mit Sicherheit auf Misstrauen und löst in vielen Gemütern einen wutentbrennenden Schmerz aus. Diese Wut, verwurzelt in erlebter und verinnerlichter Ohnmacht, entfacht eine Feuersbrunst von vernichtender Energie (Trauma-Energie).
Lassen Sie es mich mit einem einfachen Beispiel erläutern: Ein Kind geht neugierig auf einen Hund zu. Der Hund, selbst aufgrund seiner Erfahrungen ängstlich und versehrt, knurrt und beißt schließlich das Kind. Es erleidet Schmerz und zieht hochwahrscheinlich den Schluss, dass Hunde eine Bedrohung darstellen. Das Dilemma ist offensichtlich: Gewalt erzeugt Gewalt. Der „Hund“ ist nicht selten ein anderer Mensch. Das Fremde wird, weil es vom Hörensagen als gefährlich oder zumindest uneinschätzbar bewertet wird zur Bedrohung.
Je weniger sicher wir uns fühlen, desto schneller bewerten wir Andersartiges als bedrohlich. Diese These lässt sich leicht neurowissenschaftlich belegen. Stephen Porges hat hierzu einige erhellende Aussagen mit seiner Polyvagaltheorie geäußert. Ebenso die Aussage, dass Schmerz, ganz gleich, ob er körperlich oder seelisch erfahren wird, agressiv macht. Joachim Bauer hat meine Behauptung in seinem Buch über die „Schmerzgrenze“ nachvollziehbar belegt.
Es ist also das Empfinden von innerer Sicherheit und von Selbstwirksamkeit, welches uns zum Frieden befähigt. Wer selbst-sicher ist, der oder die kann frei-mutig leben. Je gebildeter Menschen sind, desto weniger bedrohlich, weil leichter einschätzbar, erscheint ihnen „die Welt“.
Qualifizierung ist nützlich, um Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Umgang mit Widrigkeiten zu schaffen. Sie kann bisweilen notwendig sein, ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend.
Wäre unser oben genanntes Kind ausreichend gebildet und zudem noch durch ein erfahrenes Umfeld geschützt, dann könnte es dem Hund anders begegnen. Es würde vielleicht weniger naiv auf das Tier zustürmen und wäre achtsamer. So könnte es vielleicht eine wunderbare Erfahrung von Selbstwirksamkeit machen, die ihm dann wiederum Handlungssicherheit bescherte.
Kindliche Naivität braucht Schutz. Andernfalls entstehen fatale Schäden, die sich über Generationen in den Gemütern halten. Es geht also nicht darum ausschließlich naiv zu sein. Wenn wir uns achtsam mit allem verbinden und daraus resultierend, bedacht, aufmerksam und auch langsam miteinander umgehen, dann rechne ich mir die größten Chancen zur Unversehrtheit aus. Vorsicht bedeutet nicht Misstrauen. Es ist wie beim Mikadospiel, man zieht achtsam ein Stäbchen nach dem anderen heraus…
Was aber, wenn der oder die andere mich konfrontiert oder gar angreift? Hier finde ich eine Haltung sehr interessant, die ich im Aikido kennengelernt habe: Die Energien werden umgelenkt zum Nutzen aller. Wie eine Welle, auf der ich surfe anstatt ihr zu trotzen oder gar zu versuchen, sie zu besiegen oder zu vernichten. Da ist er wieder, der vielzitierte Satz vom Tanz mit dem Drachen… Einer der hierzu einige intressante Arbeiten geschaffen hat, ist Stephen Gilligan. Unter anderem durch ihn habe ich gelernt, dass es sinnvoll ist, wenn man seinen Geist auf Verbundenheit ausrichtet, wenn man bewusst im Feld der Gegensätze mitschwingt, anstatt sich ängstlich in historisch gewachsenen Seelenbunkern zu verschanzen.
Ich wünschte mir mehr zum Leben und zum Frieden qualifizierende Bildung. Mehr Bewusstsein über historisch gewachsene Meme und Handlungsmuster, mehr Verbundenheit, weniger Hierarchie, weniger Kontroll-Illusion, mehr Vertrauen…
Dafür schreibe ich, dafür stelle ich Fragen, dafür bilde ich mich beharrlich und versöhnlich mit meinen eigenen Fehlern und Schwächen weiter, dafür lehne ich Ignoranz als Verantwortungslosigkeit ab, dafür plädiere ich für die täglich zu treffende Entscheidung zum Interesse.
Mach mehr Licht!
Your choice take it, take care…