oder, Wie man einen Drachen besiegt…
In meiner Studienzeit gab es einen Klassiker der sich „Grundformen der Angst“ nannte, in Anlehnung an diesen Titel möchte ich mich hier den Grundformen der Liebe zuwenden.
Jeder Mensch benötigt einen liebevollen Blick um ins Lebendige zu wachsen. Einen wohlwollenden, versönlichen Blick der sagt: „schön, das du da bist, schön, das es dich gibt“. Im Film „Alice im Wunderland“ von Tim Burton sagt Alice zum Hutmacher: „Danke für dein Du sein“, das drückt es für mich sehr gut aus.
An einer anderen Stelle sagt der Hutmacher zu Alice: „Du bist nicht Du“ und wirft sie wütend aus seinem Haus, weil er sich von Alice verraten fühlt, als sie ihm nicht glaubt, dass er tief in seinem inneren weiß, dass seine Familie noch lebt. Sie glaubt ihm nicht, sie verletzt ihn zutiefst, weil sie ihm nicht glaubt, was er fühlt.
Das einem „geglaubt“ wird, dass man mit seinen ganz eigenen Empfindungen, Gefühlen und Bedürfnissen gesehen und akzeptiert wird, ist ein Grundbedürfnis in Beziehungen. Es gibt uns Sicherheit wenn wir uns verstanden fühlen.
Nicht gesehen, nicht beachtet zu werden, vielleicht in seinem Sein sogar ignoriert oder gar verachtet und bekämpft zu werden verletzt Menschen zutiefst.
Joachim Bauer hat in seinem Buch „Schmerzgrenze“ wissenschaftlich erforscht und belegt, was innerer Schmerz bewirkt, er löst unweigerlich Agressionen bzw. Flucht oder Angriffsverhalten aus.
In der Traumatheorie geht man im Verletzungsfall davon aus, dass es vier mögliche Reaktionsweisen auf Gefahr gibt: Verteidigung durch agressiven Angriff, Flucht, erstarren bzw. dissoziieren, also nicht wahrnehmen und Unterwerfen.
Bei der Verteidigung durch Angriff werden Gefühle von Wut oder Rage, Jähzorn, Hass, Rache oder Verachtung ausagiert. Bei der Flucht kann es neben dem Verlassen der Situation auch Ablenkung, Sucht oder innerer Rückzug sein, Angst und Panik, aber auch Scham und Vermeidung gehören dazu. Das Erstarren ist eine Art Verkrampfung, die sich durch ein schnelles Hin und Her zwischen Flucht und Angriff ergibt, die schließlich in einer Überlastung des gesamten Organismus münden kann. Die dann erfolgende Dissoziation ist eine Schutzreaktion des Nervensystems bei der quasi die „Sicherung heraus fliegt“ oder „das Notfall Schot fällt“. Menschen werden müde, unkonzentiert, haben das Gefühl sich und die Situation von außen zu betrachten, sie nehmen nicht mehr war, was da zu schnell, zu viel und zu plötzlich auf sie zu gekommen ist. Dissoziation ist eine „passive“ Anpassung an die überfordernden Umstände. Die vierte Reaktion der Unterwerfung ist dagegen eher eine aktive, aber dennoch durch Ignoranz geprägte Reaktion. Es findet eine Überanpassung statt bei der man quasi will, was man soll. Man identifiziert sich mit dem Agressor und schlägt mit ihm oder ihr in die gleiche Kerbe. Man versucht in eine Art Übererfüllung zu gehen, passt sich ganz dem Außen an, ist lieb und freundlich, nimmt die eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahr und geht so permanent über die eigenen Grenzen bzw. wird grenzenlos. Eine Marionette, die durch unterwerfung zu gefallen sucht, um weiteren Angriffen zu entgehen.
Fehlt der liebevolle Blick und tritt an dessen Stelle das Erleben von Verrat, Gewalt, Ignoranz, Beschämung oder Verachtung dann hat dies fatale Folgen auf ein Leben. Sucht man dann noch Schutz bei einer nahen Bezugsperson und erlebt, dass diese einen ebenso verrät dann gerät das ganze System in höchste Not und eine oder mehrere der oben beschriebenen Reaktionsweisen werden notwendig ausgelöst.
Dies ist der Grund warum Menschen gemein und agressiv sind, dies ist auch der Grund warum manche Menschen auf das Zeigen von Bedürfnissen, Liebe oder Verständnis anderer überfordert sind. Es erinnert sie bzw. ihren Organismus an sehr alte Traumata und der alte Schmerz von „damals“ macht Anstalten in die Wahrnehmung zu drängen. Unruhe entsteht, Unruhe die sich sehr unangenehm anfühlt und quasi vorbewusst auf eine nicht verheilte Wunde hinweist.
Diese Menschen wehren sich gegen einen „alten Demonen“, der in ihnen wohnt und agieren nun selbst wie die, die sie einst, oft unbewusst, schwer verletzt haben. Die Spirale von Lieblosigkeit und Gewalt dreht sich weiter.
Die Tatsache dieses Schmerzes ist so unerträglich, dass selbst die oben genannten Tatsachen gern mit Lächerlichkeit negiert oder gar bekämpft werden. Zumindest so lange, wie man keinen Ausweg für sich und andere gefunden hat.
Es gibt sie, die Auswege, es sind Mitgefühl und Liebe, beide sind aber, schmerzlich vermisst, kaum zu ertragen für einen Menschen der sich in ihrer Ermangellung (er)lebt. Ein Teufelskreis den es behutsam, geduldig und mit Ausdauer zu überwinden gilt, wenn wir Glück, Frieden und Zufriedenheit ersehnen.
Dieser zärtliche Blick der sagt: „Du bist du und es ist toll, dass du da bist, das du du bist, das du lebendig bist“ ist eine wesentliche Grundform der Liebe. Aus ihr können freundschaftliche, führsorgliche und leidenschaftliche Liebe, Intimität, Schutz und Begeisterung erwachsen.
Es lohnt sich also den Mut aufzubringen und den „Demonen“, den „Drachen“ die Stirn zu bieten, ihnen mutig aber auch bedacht und liebevoll entgegen zu treten. Nicht töten sollst du den Drachen, auch nicht auf ihm reiten, nein, tanzen. Mal schnell, mal langsam, mal wild mal zärtlich, immer lebendig und verbunden, das ist Leben, Lieben, Sein. So zähmen Sie Ihren Drachen, alle Drachen, immer mehr. Die wichtigste und lohnenste Aufgabe eines Menschenlebens, so finde ich, was denken Sie?
Heute ist ein guter Tag zum tanzen! Und heute, das ist jetzt und jetzt das ist immer, jeden Augenblick neu, ewig, immer wieder, immer besser, immer mehr. Erst verzagt und vorsichtig, dann mutig und entschlossen und schließlich aus voller lachender Lebendigkeit.
your choice, take care, take it…